Like birds on a wire…

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Ein Drahtseilakt… so waren die letzten Tage und Wochen. Eigentlich könnte alles gut sein, die Kinder sind groß und sind mehrheitlich an Universitäten unterwegs, ich habe seit einiger Zeit den Arbeitsvertrag in der Tasche, den ich gern haben wollte und auch sonst ist alles relativ entspannt. Wäre da nicht…

Ich schlage zur Abendbrotzeit auf und weil ich die Hälfte der Brote esse, wird der Teller tatsächlich leer. Dann gehen wir ins andere Haus nach oben zu dem Zimmer, dass sie nicht kennt. Ich mache die Tür auf, dort sitzt Pauls altgedienter Hasi auf dem Bett. Er wird begrüßt mit „Ach, Hasi ist ja schon hier“ gefolgt von dem Satz „Hier war ich aber schon mal“. Ja klar, seit ein paar Wochen sind wir jeden Tag und jeden Abend dort, wo ich Fotos von uns allen übers Bett geklebt habe und wo im Garten der Koiteich ist.

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Dann beantworte ich sicher zum 10. mal die Frage, wo ich denn jetzt herkomme, schalte den Fernseher an und warte aufs Sandmännchen.

Ich frage nicht mehr, was tagsüber so passiert ist – solche Fragen muss ich woanders stellen, um eine Antwort zu bekommen. Und nach dem Sandmännchen mache ich mich auf den Weg Nachhause, wo der Mann mit dem fertigen Essen wartet.
„Kocht D. jeden Abend?“ – „Ja klar, der ist doch immer eher da als ich.“ – „Und der kann das wohl?“ – „Ja, weißt Du nicht mehr, wer zu Weihnachten die Gans gebraten hat?“ – „Ach ja. Das ist aber praktisch.“
Ich verabschiede mich immer mit dem Worten „Bis morgen oder übermorgen, mal sehen, wann ich Feierabend machen kann.“ und gehe zur Tür. Der Fernseher läuft und sie guckt mir hinterher wie ein Kind, dass im Kindergarten bleiben muss und überhaupt nicht versteht, warum es nicht mitgehen darf.

Und ich gehe raus, zünde mir eine Zigarette an und fühle mich beschissen. Wissend, dass es die einzige und seit dem Umzug in ein anderes Pflegeheim die bestmögliche Lösung einer unhaltbaren Situation war. Weite Teile der Festplatte sind unwiederbringlich gelöscht. Der Umgang des Personals mit den Bewohnern ist beruhigend, weil tatsächlich soweit wie machbar individuell auf jeden eingegangen wird.
Manchmal guckt sie mich fragend an und überlegt, wer vor ihr steht. Seit Jahren ist uns klar, was da auf uns zurollt und trotzdem beschäftigt mich dieses Bild von gestern Abend. Klein und zusammengesunken, nicht wissend wo und warum sie dort ist, guckt mir nach wie ein hilfloses, trauriges Kind.